
In vielen Familien ist es auch heute noch so, dass „gegessen wird was auf den Tisch kommt“ und am besten noch zu festen Zeiten. Von Generation zu Generation hat sich diese Esskultur gehalten und wird heute noch, auch von Familien die nicht so aufgewachsen sind, gerne eingeführt. Auch in vielen Schulen und Kitas ist das noch gängige Praxis. Mit Selbstbestimmung und selbstbestimmter Ernährung hat dies aber nichts zu tun.
Wenn ich mit anderen Eltern über selbstbestimmte Ernährung spreche, begegnen mir viele Vorurteile. Z. B. wird selbstbestimmte Ernährung gleichgesetzt mit: das Kind darf alles und zu jederzeit essen. Vor allem aber haben sie Angst vor einem übermäßigem und unkontrolliertem Konsum von ungesunden Dingen.
All diese Ängste und Sorgen sind mir schlüssig, da es im Bereich der Selbstbestimmung viel zu wenig Aufklärung gibt.
Was Selbstbestimmung im Allgemeinen bedeutet, habe ich euch ja schon in einem anderen Artikel erklärt. Wer nachlesen möchte, kann dies gerne noch einmal **HIER** tun. In dem verlinkten Artikel geht es darum, was Selbstbestimmung ist, ohne auf bestimmte Lebensbereiche näher einzugehen. Dieser Artikel bietet eine gute Grundlage, um nun tiefer in einzelne Lebensbereiche einzudringen.
Letzte Woche haben wir uns mit selbstbestimmtem Medienkonsum befasst. Diese Woche geht es uns speziell um selbstbestimmte Ernährung und in der nächsten Woche um selbstbestimmtes Schlafen.
Was genau ist nun aber, selbstbestimmte Ernährung?
Es ist viel mehr, als nur ‚Lebensmittel frei zugänglich und zu jederzeit zur Verfügung zu stellen‘.
Ganz viel hat es auch mit der Wahl des Zeitpunktes und der Wahl der Menge zu tun.
Wie oben erwähnt, ist es für uns Menschen teilweise nicht ungewöhnlich, früh zu Frühstücken, bevor wir aus dem Haus müssen, mittags zu einer bestimmten Uhrzeit (+/- 30 min.) zu essen und das Abendessen ist ebenso zeitlich bestimmt.
Allerdings ist jeder Mensch anders und hat demzufolge auch nicht zur gleichen Zeit Hunger, wie der Partner/ das Kind/ das (andere) Elternteil.
Dennoch trimmen wir unsere Kinder schon frühzeitig.
Nicht selten höre ich bei meinen Ernährungsberatungen „der Kinderarzt/ die Hebamme haben gesagt, ich darf das Baby nur alle 3-4 Std. füttern“. Da geht es schon los: selbst Babys müssen zu einer bestimmten Zeit gefüttert werden.
Das ist quatsch und darauf sollte niemand hören.
Hunger ist etwas individuelles – und wenn ein Baby nach 2h Hunger hat, dann hat es Hunger. Und wenn es erst nach 4 h Hunger hat, dann ist auch das ok.
Warum aber sollte, laut Ärzten und Hebammen ein Baby nur zu bestimmten Zeiten trinken?
Das liegt daran, dass wir Menschen uns an Strukturen orientieren und einen gewissen Rhythmus im Alltag haben. Nach Meinung einiger Ärzte und Hebammen, sollten sich kleine Kinder schon frühzeitig daran gewöhnen, einen Rhythmus zu haben.
Um noch kurz bei den Babys zu bleiben und warum es so wichtig ist, nicht auf solche Ratschläge zu hören, möchte ich euch kurz erklären, warum füttern nach Bedarf weder schädlich noch falsch ist.
Aus Angst, man könnte sein Baby verwöhnen, oder es würde unkontrolliert Milch zu sich nehmen wollen und kein Sättigungsgefühl entwickeln, halten sich viele Eltern an die oben erwähnten Ratschläge. Aber, Babys können nicht mit zu viel Nähe, Geborgenheit und dem Stillen seiner Grundbedürfnisse verwöhnt werden. Das Stillen bzw. die Flasche ist weitaus mehr als reine Ernährung. Durch das Füttern bekommt das Kind ganz viel Nähe und Liebe. Gerade Körperkontakt ist so ungemein wichtig für die emotionale Entwicklung des Kindes. Auch darf niemals vergessen werden, dass der Magen eines Neugeborenen noch sehr klein ist und demnach nur wenig Milch pro Mahlzeit aufnehmen kann. Da ist es doch nur verständlich, wenn es schon nach weniger als 3h wieder Hunger hat. Wir sollten also niemals in den natürlichen Rhythmus eingreifen und schon unserem Säugling sein Recht auf selbstbestimmte Ernährung zugestehen.
Mit der Zeit werden die Kinder größer und demnach auch ihre Mägen. Das heißt, es passt mehr rein und es muss weniger oft gefüttert werden bzw. es kann größere Mahlzeiten zu sich nehmen.
Das heißt aber noch lange nicht, dass wir nun anfangen sollten, feste Zeiten einzuführen. Schließlich ist Hunger nach wie vor etwas Individuelles.
Wir sollten also auch bei unseren größeren Kindern immer genau auf die Anzeichen achten und den Hunger stillen (lassen), wenn er aufkommt.
Warum ist das so wichtig?
Nahrungsaufnahme ist ein Grundbedürfnis und bei den meisten (gesunden) Menschen funktioniert das Meldesystem recht gut und zuverlässig. Daher sollte hier nicht dran herumgeschraubt werden, denn dann kann es zu Störungen und Fehlfunktionen kommen. Wenn wir unsere Kinder ‚trainieren‘ zu bestimmten Zeiten Hunger zu haben, verlernen sie auf ihren eigenen Rhythmus zu hören. Sie passen sich quasi an. Damit wird das natürliche Bedürfnis mit dem unnatürlichen Zeitmuster überdeckt. Es kann also im Verlauf des Lebens zu Essstörungen kommen.
Ich verstehe den Wunsch vieler Eltern, Mahlzeiten gemeinsam einnehmen zu wollen. Das ist auch nichts Verkehrtes. Dennoch ist das eigene Hungergefühl genau das – das eigene – und muss Beachtung finden. Hat also ein Kind Hunger, sollte dies möglichst Zeitnah gestillt werden, auch dann, wenn es gerade nicht die Zeit ist, um eine gemeinsame Mahlzeit einzunehmen, oder wenn andere Familienmitglieder gerade keinen Hunger haben.
Geben wir dem Kind dann also ruhig etwas Ausgewogenes zu essen, oder aber wir haben immer einen gesunden Snack-Teller dastehen.
Es ist nicht verwerflich, früh zu Frühstücken, mittags Mittag zu essen und Abends das Abendbrot, aber es muss nicht alles immer genau zur selben Uhrzeit geschehen und schon gar nicht, muss jeder zu dieser Zeit Hunger haben.
Wenn Kind eins schon vor zwei Stunden Hunger hatte und etwas gegessen hat, wird es jetzt zum Mittag vlt. gar nicht mehr so großen Hunger haben, aber dennoch kann ein Teller bereitstehen und es kann essen, wenn – und soviel – es Hunger hat. Es kann mit am Tisch sitzen, oder mit im Raum sein und so können gemeinsame Mahlzeiten eingenommen werden.
Im Laufe der Zeit ändert sich der Rhythmus
Auch darf nicht vergessen werden, dass sich Rhythmen ändern. Nur weil ein Kind konsequent immer zwei Stunden vor dem eigentlichen Mittagessen hungrig ist, bedeutet das nicht, dass es immer so bleiben wird. Manchmal gleichen sich die Rhythmen der Familienmitglieder ganz natürlich an und es kommt nur noch wenig bis gar nicht zu unterschiedlichen Essenszeiten. Wichtig ist aber, dass dies völlig natürlich und ohne Zwang geschieht.
Süßigkeiten müssen nichts Schlechtes sein
Ein weiterer Punkt in Bezug auf selbstbestimmte Ernährung ist die Wahl der Lebensmittel die konsumiert werden.
Viele Eltern neigen dazu, Süßigkeiten zu verbannen und als schädlich einzustufen. Und natürlich ist klar, dass Süßigkeiten sehr verlockend sein können.
Gerade deswegen ist es so wichtig, unseren Kindern hier Achtsamkeit zu vermitteln.
Dabei geht es nicht darum, dass sie täglich Süßigkeiten bis zum Umfallen in sich reinstopfen sollten, sondern das wir Süßigkeiten als ein Nahrungsmittel von vielen betrachten – nur nicht als Hauptnahrungsmittel.
Aber hier, genau wie beim Medienkonsum, ist es ungemein wichtig dem Kind sein eigenes Gespür zu lassen, bzw. es zu diesem hinzubegleiten. Je selbstverständlicher mit dem Thema Süßigkeiten umgegangen wird, desto uninteressanter ist es für die Kinder. Süßigkeiten können auch leicht und gesund selber gemacht werden. Wenn es sich also für euch besser anfühlt und euer Gewissen damit beruhigter ist, dann stellt euren Kindern doch selbstgemachte Süßigkeiten zur Verfügung. So wird die Lust auf etwas Süßes befriedigt und führt nicht zu einem übermäßigen und unkontrolliertem Verzehr.
Selbstbestimmung heißt also auch hier, Achtsamkeit.
Grundbedürfnisse müssen immer schnellstmöglich befriedigt werden und Hunger gehört ganz klar dazu. Der innere, eigene Rhythmus, bzw. der des Kindes ist ausschlaggebend, nicht das, was die Uhr oder unser Umfeld sagt. Es gibt keine Lebensmittel, die nicht auf dem Speiseplan stehen dürfen. Ganze Nüsse und Alkohol schließe ich hier aber ganz klar aus – auch wenn dies selbstverständlich sein sollte – sicher ist sicher. 🙂
Lebensmittel können ganztägig zur Verfügung stehen. So kann sich jeder zu jederzeit etwas wegnehmen. Natürlich sollten die Lebensmittel die passende Größe haben (z.B. Weintrauben mindestens längs halbiert, oder besser geviertelt, keine zu großen Apfelstücke – sofern sich auch kleinere Kinder bedienen) – und unbeaufsichtigt sollten die Kinder natürlich auch nicht sein.
Gegen Familienmahlzeiten ist nichts einzuwenden, sofern niemand gezwungen wird dann auch zu essen, wenn andere Hunger haben. Eine Mahlzeit vor der eigentlichen Mahlzeit für Personen die schon Hunger haben (sofern es bis zur Mahlzeit noch mindestens 20 min. dauert) bereitstellen, oder die Möglichkeit geben, auch später noch etwas zu essen, falls der Hunger (wieder) kommt, wäre hier ein gangbarer Weg.